Die Musik bei Heinrich Heine und Rahel Varnhagen: Eindrücke vom Düsseldorfer Toy Piano Festival 2022
Foto: Frederike Möller und Simone Pohlandt nach dem Konzert
Zu Heines 225. Geburtstag gaben Frederike Möller und Yukiko Fujieda ein außergewöhnliches Konzert am 27. August 2022 im Palais Wittgenstein. Neben dem schwarz glänzenden Flügelklavier, auf dem die Pianistinnen vierhändig spielten, standen fünf weitere Klaviere im Miniaturformat: teils, um mit dem Flügel in Harmonien zu schwingen, teils, um durch Bearbeitungen bekannter Stücke selbst zu klingen. Die interessante Mischung von Klassik und Toy Piano beeindruckte selbst erfahrende Konzertbesucher, u.a. eine Reisegruppe aus Berlin, die eigens zu Heinrich Heines Geburtstagsjubiläum angereist war und von mir begleitet wurde.
1. Das Toy Piano Festival in Düsseldorf
Frederike Möller ist Pianistin und Abgeordnete der Grünen in Düsseldorf. Seit 2018 leitet sie das Internationale Düsseldorfer Orgelfestival und ihr eigenes Düsseldorfer Toy Piano Festival. Das Toy Piano ist, wie der Name bereits andeutet, ein Spielzeuginstrument. Bekannt wurde es vor allem durch dem Soundtrack zum französischen Kultfilm „Die fabelhafte Welt der Amélie“ von Yann Tiersen aus dem Jahre 2001. In der Folge hat das Toy Piano auch die klassischen Konzertsäle erobert und „konkurriert“ mit den großen Instrumenten. Im Mittelpunkt der August-Ausgabe standen die musikalischen Vorlieben und Kritiken von Rahel Varnhagen von Ense (1771-1833) und dem Geburtstagskind Heinrich Heine.
Rahel Varnhagen war Heinrich Heines Mentorin in seiner Berliner Zeit. Sowohl hinsichtlich ihrer freigeistigen Grundhaltung als auch ihres Alters glich sie Heines Mutter Betty. Rahel führte in Berlin zwei berühmte, literarische Salons: den ersten von 1790-1806 in einer Dachstube und den zweiten in den 1820er Jahren bis zu ihrem Tod. Hier trafen sich Gelehrte, Künstler, Naturforscher, Musiker, Literaten und alles, was Rang und Namen hatte. Standesunterschiede wurden nivelliert. Es zählte allein das gesellige Beisammensein und der intellektuelle Austausch. Ihr Salon-Motto war das Goethe-Zitat: „Freunde, Gleichgesinnte, nur herein!“
Für Heinrich Heine war Rahels Salon einfach „das Vaterland“. In einem Brief an ihren Ehemann Karl August Varnhagen von Ense (1785-1858) ernannte er Rahel „zur geistreichsten Frau des Universums“. Er schrieb am 14. Mai 1826:
Eine andre, größere Noth war der beängstigende Gedanke daß das Buch im Grunde zu schlecht sey um der geistreichsten Frau des Universums dedizirt zu werden. Doch mich tröstete der Gedanke, daß Fr v. Varnhagen nicht an mir irre wird, ich mag schreiben was ich will, Gutes oder Schlechtes.
Heine an Varnhagen am 14. Mai 1826
Karl August war Diplomat und Liberaler sowie Landsmann von Heinrich Heine: Sohn eines Arztes in Düsseldorf! Beide verständigten sich auf die Prinzipien der Französischen Revolution. Er war es auch, der die literarisch hochinteressanten Briefe seine Frau Rahel nach ihrem Tode ordnete und veröffentlichte.
2. Rahel Varnhagens Lieblingsmusiker
Aus einem der Briefe zitierte Frederike Möller, wie Rahel im Traume ein wunderschönes, göttliches Präludium hörte und davon in tiefster Seele ergriffen ward. Rahel schrieb: „Die Musik ist Gott.“ Ihr Lieblingsmusiker war Sebastian Bach, den sie liebevoll „Sebastian“ nannte. Zwar lernte sie auch Beethoven persönlich kennen, doch musikalisch war sie bei Bach, Händel, Gluck und Mozart beheimatet. Die „Zauberflöte von Mozart“ hörte sie am liebsten in der konzertanten Aufführung. An Mozarts „Entführung aus dem Serail“ gefielen ihr die Hitze, Liebe, Pracht und Müßigkeit.
Das „Klavierkonzert in C-Dur KV 467: Andante“ von Wolfgang Amadeus Mozart war das erste Stück, das Möller auf dem Flügel intonierte – in Begleitung einer videokünstlerischen Arbeit von Michalis Nicolaides. Parallel zur Live-Darbietung spielte sie auf drei restaurierten Pianos des 19. Jahrhunderts im Heine-Museum. Zusammen mit der Pianistin Yukiko Fujieda spielte sie anschließend ein vierhändiges Stück von Johann Sebastian Bach in der Bearbeitung von György Kurtàg: „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“.
Rahel war auch mit der Familie Mendelssohn gut bekannt. Möller zitierte die gemeinsame Musikkritik von Heinrich Heine und Rahel Varnhagen an der Aufführung der Matthäus-Passion am 11. März 1829. Der 20-jährige Felix Mendelssohn-Bartholdy debütierte als Dirigent in der Berliner Singakademie. Während das Publikum im überfüllten Saal das Konzert voller Begeisterung aufnahm, fühlten sich die beiden furchbar „ennuyiert“, also gelangweilt. Heine und Varnhagen missfielen die modernen Eingriffe mit den zusammengeraffte Chören als Mittelpunkt des Stücks. Dennoch war die Aufführung der Beginn einer großen Bach-Renaissance.
Heine schätze durchaus das Talent des jungen Musikers und schrieb in den „Briefen aus Berlin“:
Außer dem jungen Felix Mendelsohn, der, nach dem Urtheile sämmtlicher Musiker, ein musikalisches Wunder ist, und ein zweiter Mozart werden kann, wüßte ich unter den hier lebenden Autochtonen Berlins kein einziges Musikgenie aufzufinden.
Briefe aus Berlin
Allerdings warf er Felix Mendelssohn-Bartholdy eine zu starke, anbiedernde Nähe zum Christentum vor. Am 11. Februar 1846 schrieb Heine an Lassalle:
Ich habe Malice auf ihn wegen seines Christelns, ich kann diesem durch Vermögensumstände unabhängigen Menschen nicht verzeihen, den Pietisten mit seinem großen, ungeheuren Talente zu dienen. – Je mehr ich von der Bedeutung des letzteren durchdrungen, desto erboster werd ich ob des schnöden Mißbrauchs. Wenn ich das Glück hätte, ein Enkel von Moses Mendelssohn zu seyn, so würde ich wahrlich mein Talent nicht dazu hergeben, die Pisse des Lämmleins in Musik zu setzen.
Heine an Lassalle am 11. Februar 1846
Trotz der Differenzen: Felix und seine Schwester Fanny vertonten auch Heine-Gedichte. Möller und Fujieda gaben uns nun zwei Stücke von Fanny Mendelssohn zu Gehör: Zwei Klavierstücke zu vier Händen: Allegretto / Walzer. Der Rahel-Teil des Konzertnachmittags schloss mit „Ombra mai fu“ von Georg Friedrich Händel ab – in einer absolut einmaligen Fassung für Klavier und Toy Piano!
3. Heinrich Heines Lieblingsmusiker
Der musikalische Heine-Teil begann mit Jungfernkranz und Jägerchor aus Carl Maria von Webers „Freischütz“ in einer beispiellosen Fassung für zwei Toy Pianos – hinreißend gespielt von Frederike Möller und Yukiko Fujieda.
Nach der Uraufführung des „Freischütz“ am 18. Juni 1821 im Königlichen Schauspielhaus Berlin wurde das Stück „Wir winden dir den Jungfernkranz mit veilchenblauer Seide“ regelrecht zum Gassenschlager. Heine beklagte in den „Briefen aus Berlin“:
Und nun den ganzen Tag verläßt mich nicht das vermaledeite Lied. Die schönsten Momente verbittert es mir. Sogar wenn ich bey Tisch sitze, wird es mir vom Sänger Heinsius als Dessert vorgedudelt. Den ganzen Nachmittag werde ich mit »veilchenblauer Seide« gewürgt. Dort wird der Jungfernkranz von einem Lahmen abgeorgelt, hier wird er von einem Blinden heruntergefidelt. Am Abend geht der Spuk erst recht los. Das ist ein Flöten, und ein Gröhlen, und ein Fistuliren, und ein Gurgeln, und immer die alte Melodie. Das Kasparlied und der Jägerchor wird wohl dann und wann von einem illuminirten Studenten oder Fähndrich, zur Abwechselung, in das Gesumme hineingebrüllt, aber der Jungfernkranz ist permanent; wenn der Eine ihn beendigt hat, fängt ihn der Andere wieder von vorn an; aus allen Häusern klingt er mir entgegen; Jeder pfeift ihn mit eigenen Variazionen; ja, ich glaube fast, die Hunde auf der Straße bellen ihn.
Briefe aus Berlin
In Paris unterhielt Heine die Bekanntschaft zum gefeierten Komponisten Giacomo Meyerbeer und bewunderte vor allem sein Werk „Die Hugenotten“. Heine wohnte der Uraufführung am 29. Februar 1836 in der Grand Opéra bei. Im 9. Brief schrieb er in „Über die französische Bühne“ (DHA, Bd. 12/1, S. 279):
Erst durch dieses Werk gewann Meyerbeer sein unsterbliches Bürgerrecht in der ewigen Geisterstadt, im himmlischen Jerusalem der Kunst. In den Hugenotten offenbart sich endlich Meyerbeer ohne Scheu; mit unerschrockenen Linien zeichnete er hier seinen ganzen Gedanken, und Alles, was seine Brust bewegte, wagte er auszusprechen in ungezügelten Tönen.
Über die französische Bühne
In einem Seitenstück zur französischen Bühne lobte Heine Meyerbeer am 1. März 1836:
Er ist wohl der größte jetzt lebende Kontrapunktist, der größte Künstler in der Musik; er tritt diesmal mit ganz neuen Formschöpfungen hervor, er schafft neue Formen im Reiche der Töne; und auch neue Melodien giebt er, ganz außerordentliche, aber nicht in anarchischer Fülle, sondern wo er will und wann er will, an der Stelle wo sie nöthig sind. (DHA 12/1: 295)
Über die französische Bühne
Die Pianistinnen spielten aus den Hugenotten „Cavatina: Une dame noble et sage“. Anschließend brachte Frederike Möller ein fulminantes Stück von Chopin zu Gehör: die Ballade g-moll.
Heine bewunderte Frédéric Chopin, den „Tondichter“ (in: Lutezia LVI. 26. März 1843):
Bey Chopin vergesse ich ganz die Meisterschaft des Clavierspiels, und versinke in die süßen Abgründe seiner Musik, in die schmerzliche Lieblichkeit seiner eben so tiefen wie zarten Schöpfungen. Chopin ist der große geniale Tondichter, den man eigentlich nur in Gesellschaft von Mozart oder Beethoven oder Rossini nennen sollte.
Lutezia
Den Abschluss des Toy Piano Festivals bildete eine erfrischende Loreley-Vertonung von Clara Schumann in der Toy Piano Fassung von Frederike Möller.
Erfrischend und hörbar anders als andere Klassikaufführungen war dieser Nachmittag im Palais Wittgenstein. Eine Mischung aus Innovation und Musikvermittlung auf höchstem künstlerischem Niveau. Ich komme wieder!
4. Zum Weiterhören
Richard Schroetter: Musikgeschmack im Salon diskutiert, Radiobeitrag in: Deutschlandfunk vom 19.5.2021 (aus der Sendung: Alte Musik), abrufbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/rahel-varnhagen-musikgeschmack-im-salon-diskutiert-100.html
5. Zum Weiterlesen
Klaus Günze: Die geistreichste Frau des Universums, in: Die Zeit, abrufbar unter: https://www.zeit.de/1996/22/Die_geistreichste_Frau_des_Universums/komplettansicht
Heinrich Heine war in Düsseldorf zuhause.
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