„Ich bin der Sohn der Revolution“: Heines Helgoländer Briefe

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Als die Juli-Revolution in Frankreich ausbricht, befindet sich der Schriftsteller Heinrich Heine zur Badekur auf Helgoland und ist reichlich deprimiert. Doch die Ereignissen im Nachbarland entfachen erneut seine Begeisterung für die Französische Revolution. Die Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ bringt ihn wieder zu seiner Berufung zurück.

Die Juli-Revolution von 1830 ist der Beginn von konstitutioneller Monarchie und Pressefreiheit in Frankreich, zugleich aber auch die Hochzeit des Finanzkapitals. Unter dem Bürgerkönig Louis Philippe, der sich »König der Franzosen« nannte, klafft die Schere zwischen Arm und Reich mehr und mehr auseinander. In der Folge kommt es zur Februar-Revolution von 1848.

Helgoland den 10ten August 1830.

Lafayette, die dreifarbige Fahne, die Marseillaise … Fort ist meine Sehnsucht nach Ruhe. Ich weiß jetzt wieder was ich will, was ich soll, was ich muß … Ich bin der Sohn der Revolution und greife wieder zu den gefeiten Waffen, worüber meine Mutter ihren Zaubersegen ausgesprochen … Blumen! Blumen! Ich will mein Haupt bekränzen zum Todeskampf. Und auch die Leier, reicht mir die Leier, damit ich ein Schlachtlied singe … Worte gleich flammenden Sternen die aus der Höhe herabschießen und die Pläste verbrennen und die Hütten erleuchten … Ich bin ganz Freude und Gesang, ganz Schwert und Flamme! Vielleicht auch ganz toll … Von jenen wilden, in Druckpapier gewickelten Sonnenstrahlen ist mir einer ins Hirn geflogen, und alle meine Gedanken brennen lichterloh. Vergebens tauche ich den Kopf in die See.

Vielleicht auch ganz toll …. Von jenen wilden, in Druckpapier gewickelten Sonnenstralen ist mir einer ins Hirn geflogen, und alle meine Gedanken brennen lichterloh. Vergebens tauche ich den Kopf in die See. Kein Wasser löscht dieses griechische Feuer. Aber es geht den anderen nicht viel besser. Auch die übrigen Badegäste traf der pariser Sonnenstich, zumal die Berliner, die dieses Jahr in großer Anzahl hier befindlich und von einer Insel zur andern kreuzen, so daß man sagen konnte, die ganze Nordsee sey überschwemmt von Berlinern. Sogar die armen Helgolander jubeln vor Freude, obgleich sie die Ereignisse nur instinktmäßig begreifen. Der Fischer welcher mich gestern nach der kleinen Sandinsel, wo man badet, überfuhr, lachte mich an mit den Worten: »Die armen Leute haben gesiegt!« Ja, mit seinem Instinkt, begreift das Volk die Ereignisse vielleicht besser als wir mit allen unseren Hülfskenntnissen. So erzählte mir einst Frau v. Varnhagen: als man den Ausgang der Schlacht bey Leipzig noch nicht wußte, sey plötzlich die Magd ins Zimmer gestürzt, mit dem Angstschrey: »der Adel hat gewonnen.«

Diesmal haben die armen Leute den Sieg erfochten. »Aber es hilft ihnen nichts, wenn sie nicht auch das Erbrecht besiegen!« diese Worte sprach der Ostpreußische Justizrath in einem Tone, der mir sehr auffiel. Ich weiß nicht warum diese Worte, die ich nicht begreife, mir so beängstigend im Gedächtniß bleiben. Was will er damit sagen, der trockene Kautz?

Diesen Morgen ist wieder ein Paquet Zeitungen angekommen. Ich verschlinge sie wie Manna. Ein Kind wie ich bin, beschäftigen mich die rührenden Einzelheiten noch weit mehr als das bedeutungsvolle Ganze. O könnte ich nur den Hund Medor sehen! Dieser interessirt mich weit mehr als die Anderen, die dem Philipp von Orleans mit schnellen Sprüngen die Krone apportirt haben. Der Hund Medor apportirte seinem Herrn Flinte und Patrontasche, und als sein Herr fiel und sammt seinen Mithelden auf dem Hofe des Louvre begraben wurde, da blieb der arme Hund, wie ein Steinbild der Treue, regungslos auf dem Grabe sitzen, Tag und Nacht, von den Speisen die man ihm bot, nur wenig genießend, den größten Theil derselben in die Erde verscharrend, vielleicht als Atzung für seinen begrabenen Herrn!

Ich kann gar nicht mehr schlafen, und durch den überreitzten Geist jagen die bizarrsten Nachtgesichte. Wachende Träume, die über einander hinstolpern, so daß die Gestalten sich abentheuerlich vermischen, und wie im chinesischen Schattenspiel sich jetzt zwerghaft verkürzen, dann wieder gigantisch verlängern; zum Verrücktwerden. In diesem Zustande ist mir manchmal zu Sinne, als ob meine eignen Glieder ebenfalls sich kolossal ausdehnten und daß ich, wie mit ungeheur langen Beinen, von Deutschland nach Frankreich und wieder zurückliefe. Ja, ich erinnere mich, vorige Nacht lief ich solchermaßen durch alle deutsche Länder und Ländchen, und klopfte an den Thüren meiner Freunde, und störte die Leute aus dem Schlafe … Sie glotzten mich manchmal an mit verwunderten Glasaugen, so daß ich selbst erschrak und nicht gleich wußte was ich eigentlich wollte und warum ich sie weckte! Manche dicke Philister, die allzuwiderwärtig schnarrchten, stieß ich bedeutungsvoll in die Rippen, und gähnend frugen sie: »Wie viel Uhr ist es denn?« In Paris, lieben Freunde, hat der Hahn gekräht; das ist alles was ich weiß. – Hinter Augsburg, auf dem Wege nach München, begegneten mir eine Menge gothischer Dome, die auf der Flucht zu seyn schienen und ängstlich wackelten. Ich selber, des vielen Umherlaufens satt, ich gab mich endlich ans Fliegen, und so flog ich von einem Stern zum andern. Sind aber keine bevölkerte Welten, wie Andere träumen, sondern nur glänzende Steinkugeln, öde und fruchtlos. Sie fallen nicht herunter, weil sie nicht wissen worauf sie fallen können. Schweben dort oben auf und ab, in der größten Verlegenheit. Kam auch in den Himmel. Thür und Thor stand offen. Lange, hohe, weithallende Säle, mit altmodischen Vergoldungen, ganz leer, nur daß hie und da, auf einem sammtnen Armsessel, ein alter gepuderter Bedienter saß, in verblichen rother Livree und gelinde schlummernd. In manchen Zimmern waren die Thürflügel aus ihren Angeln gehoben, an andern Orten waren die Thüren fest verschlossen und obendrein mit großen runden Amtssiegeln dreyfach versiegelt, wie in Häusern wo ein Bankrott oder ein Todesfall eingetreten. Kam endlich in ein Zimmer, wo an einem Schreibpult ein alter dünner Mann saß, der unter hohen Papierstößen kramte. War schwarz gekleidet, hatte ganz weiße Haare, ein faltiges Geschäftsgesicht und frug mich mit gedämpfter Stimme: was ich wolle? In meiner Naivität hielt ich ihn für den lieben Herr-Gott, und ich sprach zu ihm ganz zutrauungsvoll: »Ach, lieber Herrgott, ich möchte donnern lernen, blitzen kann ich … ach, lehren Sie mich auch donnern!« Sprechen Sie nicht so laut, entgegnete mir heftig der alte dünne Mann, drehte mir den Rücken, und kramte weiter unter seinen Papieren. »Das ist der Herr Registrator« flüsterte mir einer von den rothen Bedienten, der von seinem Schlafsessel sich erhob und sich gähnend die Augen rieb …
Pan ist todt!

Aus: Heinrich Heine: Ludwig Börne. Eine Denkschrift, Zweites Buch, 1840.

Heines Werke im Internet

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Heinrich Heine war in Düsseldorf zuhause.

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Porträt von Heinrich Heine, gemeinfrei

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2 Kommentare

  1. Seine Geistesschöpfungen, die er in Buchstaben hinterlassen hat, brennen immer noch.. und besonders für jeden (Europäer), der erfassen möchte, was „Deutschland“ für die Weltgeschichte bedeutet(e). In seinem Werk von 1834
    „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ macht er es deutlich, hier wird er zum mosaischen Propheten, der sieht was da kommt.. und 100 Jahre später bestätigt Viktor Klemperer die Vision…Ein Werk, das im Deutsch und Geschichtsunterricht einen Dauerplatz haben sollte, ich empfehle die gelbe Reclam Ausgabe mit Anmerkungen.

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